Arbeitgeber behält Gehalt wegen Inventur einfach ein?
Hallo liebe Community,
meine Freundin hat einst bei Ihrem Arbeitgeber einen Vertrag unterzeichnet in dem sich folgender Paragraph befindet:
§5 Inventuren
Die Bestandsaufnahmen/Inventuren werden von der Arbeitgeberin regelmäßig durchgeführt. Die Arbeitnehmerin wird die Inventur mit der Arbeitgeberin entsprechend vorbereiten und bei der Durchführung anwesend sein und diese unterstützen.
Sofern sich bei Bestandsaufnahmen/Inventuren Differenzen zwischen Sollbestand (Anfangsbestand zum Verkaufs-Wert + übernommene Ware laut Lieferschein zum Verkaufswert ./. Bruttoumsatz) und Ist-Bestand ergeben, gehen diese zu 50% zu Lasten der Arbeitnehmerin und sind von ihr innerhalb von 2 Wochen zu bezahlen.
Nun hat Ihre Arbeitgeberin zum Ende des letzten Monats den Laden zu gemacht und meine Freundin wartet auf ihr Gehalt. Jetzt kam raus es wird nichts kommen, es wurde direkt abgezogen. Dazu nun meine Fragen:
1. Ist dieser Paragraph rechtens?
2. Muss das nicht eher als Rechnung erstellt werden? Ich meine da steht ja schließlich "innerhalb von 2 Wochen zu bezahlen"?
3. Kann das einfach ohne Erstellung eines Gehaltsnachweises oder Lohnzahlung abgezogen werden, sodass ein Mitarbeiter wirklich gar nichts an einem Monat bekommt?
Vielen Dank und liebe Grüße
4 Antworten
Ich halte diesen Paragrafen für genau so rechtswidrig wie das einbehalten des Lohns.
Was hier vom AG versucht wird, ist das Risiko des Warenverlustes auf den AN abzuschieben ohne dass diesem ein Verschulden nachgewiesen werden kann.
Es gibt zwar oft Vereinbarungen zwischen AG und AN, dass der AN wenn z.B. die Kasse nicht stimmt, den Verlust ausgleichen muss. Das ist eine sog. "Mankohaftung".
Prof. Dr. Peter Wedde (Anm. von mir: Renommierter Arbeitsrechtler) schreibt im Arbeitsrechtkommentar zum § 619a (Beweislast bei Haftung des Arbeitnehmers) BGB u.a.:
Von der Mankohaftung spricht man, wenn beim AG ein Schaden durch einen Fehlbestand von Geldbeträgen oder sonstigen Gegenständen eintritt, die dem AN anverttraut wurden.
Häufig werden in solchen Fällen sog. Mankovereinbarungen getroffen, nach denen der AN für den Fehlbestand, das Manko einzustehen hat. Damit werden dem AN einseitige Haftungsrisiken aufgebürdet.
Das verstößt gegen die zwingenden Grundsätze der beschränkten AN-Haftung. Entsprechende Vereinbarungen sind deshalb unwirksam, wenn und soweit dem AN kein gleichwertiger Ausgleich in Form einer besonderen Mankovergütung geleistet wird.
Eine Haftung des AN kommt nur bis zur Höhe des vereinbarten Mankogeldes in Betracht. Das gilt auch, wenn tatsächlich ein höherer Schaden eingetreten ist (BAG 17.9.1998 - 8 AZR 175/97; BAG 2.12.1999 - 8 AZR 386/98).
Das BAG betrachtet das Modell der eingeschränkten AN-Haftung einschließlich der Mankohaftung als einseitig zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht, von dem weder einzel- noch kollektivvertraglich zu Lasten des AN abgewichen werden kann (BAG 5.2.2004 - 8 AZR 91/03).
Folglich sind in Arbeitsverträgen vereinbarte Bestimmungen, die zu Lasten des AN von den Grundsätzen der eingeschränkten AN-Haftung abweichen, insbesondere eine Haftungsverschärfung vorsehen, unzulässig, ohne dass es darauf ankommt, ob es sich um einseitig vom AG vorformulierte Klauseln handelt."
Ich würde empfehlen, dem AG einen Brief zu schreiben und ihn aufzufordern, das ausstehende Gehalt bis zum......(Frist von 7-10 Tagen setzen) zu bezahlen nebst 40 Euro Verzugszinsen.
Schreib dazu dass Du, sollte bis zum angegebenen Termin kein Zahlungseingang zu verzeichnen sein, Klage beim Arbeitsgericht erhebst.
Mit Rechtsschutzversicherung oder als Gewerkschaftsmitglied macht das ein Anwalt für Dich. Du kannst aber auch selbst zur Rechtsantragstelle des Arbeitsgerichts gehen. Bei der Klageformulierung wird Dir geholfen und das ist kostenlos.
Der AG ist hier erst einmal in der Beweispflicht, dass diese Klausel im Arbeitsvertrag überhaupt gültig ist. Ich würde mal behaupten, dass ihm das nicht gelingt.
Zur Anmerkung von @kevin1905 möchte ich noch bemerken, dass ich ihm hier voll zustimme. Heutzutage kann sich (fast) kein AN mehr leisten, keine Rechtsschutzversicherung für Arbeitsrecht zu haben oder Gewerkschaftsmitglied zu sein (bei habe übrigens eine Rechtsschutzversicherung und bin auch in der Gewerkschaft)
Ist in der Gastro z.B. normal. Wenn da die Kasse nicht stimmt, wird der Fehlbetrag auch direkt vom Gehalt abgezogen.
Nicht rechtens.
Arbeitgeber muss Mankogeld als Zuschlag zum Gehalt zahlen aus dem Differenzen bedient werden oder er muss dem Arbeitnehmer mehr als einfache Fahrlässigkeit nachweisen, ansonsten muss der Arbeitgeber die Differenz tragen.
Mich würden mal die Arbeitsumstände interessieren. Wenn deine Freundin 50% der Differenzen der Inventur bezahlen soll - eine Passage von der ich noch nie gehört habe und die, angewendet, den Vorwurf des Diebstahls enthält - hat sie dann auch die alleinige Kontrollmöglichkeit über das Lager?
Anscheinend nicht, denn der Arbeitgeber hat die Inventur durchgeführt. Hat er ihr wenigstens einen durch Beweise untermauerten Inventurbericht gegeben oder ihr die Fehlmengen nur lapidar mitgeteilt?
1. Ist dieser Paragraph rechtens?
Nein, er dürfte eine unangemessene Benachteiligung darstellen.
2. Muss das nicht eher als Rechnung erstellt werden? Ich meine da steht ja schließlich "innerhalb von 2 Wochen zu bezahlen"?
Grundsätzlich hat der Arbeitgeber unter gewissen Umständen ein Zurückbehaltungsrecht und kann auch aufrechnen, allerdings halte ich die Grundagen dafür hier nicht gegeben.
3. Kann das einfach ohne Erstellung eines Gehaltsnachweises oder Lohnzahlung abgezogen werden, sodass ein Mitarbeiter wirklich gar nichts an einem Monat bekommt?
Nein.
Aber warte mal ab ob die Arbeitsrechtsexperten Familiengerd oder Hexle2 hierzu noch etwas schreiben.
Anmerkung meinerseits: Ich selbst bin Unternehmer und auch Arbeitgeber. Ich werde es dennoch nie verstehen, wie man als Arbeitnehmer nicht entweder Gewerkschaftsmitglied ist oder eine Rechtsschutzversicherung inkl. Arbeits-RS haben kann. Es will nicht in meinen Kopf...
Ich selbst bin ja auch in einer Interessenvertretung...
Dem kann ich nur zustimmen. Mein erster Schritt als Arbeitnehmer war Mitglied in der Gewerkschaft zu werden.