Warum sind viele Firmen ohne Betriebsrat?

7 Antworten

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Auch wenn die rechtliche Lage eindeutig ist und ein Betriebsrat gewählt werden dürfte:

Ein Teil der Arbeitnehmer kennt seine Rechte nicht genau, oder hat keine Vorstellung rechte Vorstellung für was der Betriebsrat zuständig ist oder welche Vorteile es hat einen Betriebsrat zu haben.

Ein großer Teil der Arbeitnehmer motzt zwar recht gerne, traut sich aber in letzter Konsequenz nicht für seine Rechte einzutreten. Andere Arbeitnehmer wiederum besitzen nicht die dazu notwendigen Eigenschaften.

Die Mittel wie eine Betriebsratswahl durch den Arbeitgeber verhindert / behindert werden kann sind oft sehr subtil.

Viele Arbeitnehmer befürchten, berechtigt oder unberechtigt, Nachteile in Ihrem beruflichen Fortkommen oder gar um ihren Job und versuchen deshalb alles um nicht negativ aufzufallen.

Aus meiner Betriebsratspraxis weiss ich das leider allzugut.

Peter Kleinsorge

Franz577 
Beitragsersteller
 28.02.2010, 22:12

Du sagst, manche besitzen nicht die dazu notwendigen Eigenschaften. Welche Eigenschaften muß ein Mitarbeiter denn haben, um sich als Betriebsrat aufstellen lassen zu können?

Kleinsorge  28.02.2010, 22:22
@Franz577

Der Arbeitnehmer sollte intellektuell dazu in der Lage sein sich die notwendigen Kenntnisse aus dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Arbeitsrecht anzueignen. Zudem sollte der Arbeitnehmer in der Lage sein die Funktion objektiv wahrzunehmen. Vorteilhaft sind zudem rhetorische Fähigkeiten, ein guter Kommunikationsstil und Durchsetzungsfähigkeit.

Peter Kleinsorge

Franz577 
Beitragsersteller
 28.02.2010, 22:24
@Kleinsorge

Ok, das leuchtet ein. Und inwiefern kann einem die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft denn dienlich sein, wenn man keinen Betriebsrat in der Firma hat?

Kleinsorge  01.03.2010, 07:06
@Franz577

Die Gewerkschaft kann bei der Betriebsratswahl beratend bzw. unterstützend tätig werden.

Sie können bei der Gewrkschaft auch Schulungen zur Betriebsratsarbeit und zum BetrVG machen.

Von daher kann es sinnvoll sein in die für die Branche zuständige Gewrkschaft einzutreten.

Voraussetzung für eine Betriebsratstätigkeit ist eine Gewerkschaftsmitgliedschaft aber nicht.

Peter Kleinsorge

Franz577 
Beitragsersteller
 01.03.2010, 08:30
@Kleinsorge

Achso, das wußte ich jetzt nicht. Ich dachte, daß Betriebsräte immer auch der Gewerkschaft angehören. In der Regel dürfte es jedenfalls so sein, nehme ich an. Aber es ist gut, wenn man von der Gewerkschaft Unterstützung bekommt. Können diese Schulungen eigentlich während der Arbeitszeit gemacht werden bzw. muß einem der Chef dafür freistellen?

Kleinsorge  01.03.2010, 08:37
@Franz577

Ja, der Arbeitgeber muss die Betriebsräte für die Schulungen bezahlt freistellen. Übernachtungsgebühren und Verpflegung sind im Schulungspreis, den der Arbeitgebern ebenfalls bezahlen muss, inbegriffen. Es braucht einen Beschluss des BR-Gremiums damit der Arbeitgeber die Schulung übernehmen muss.

Peter Kleinsorge

Zander1961  01.03.2010, 20:24
@Kleinsorge

Einfach super erklärt. Besser gehts nicht. DH

Die Frage ist: Warum gibt es viele Firmen ohne Betriebsrat. Deshalb konzentriere ich mich hier in der Antwort auf die Nachteile und Schwierigkeiten durch Betriebsräte - natürlich gibt es auch Vorteile. Ich schicke das vorweg, damit ich hier nicht zuviel auf die Mütze kriege

  • Gerade in kleinen Unternehmen klappt die Kommunikation zwischen Chef und den (wenigen) Angestellten oft recht gut. Das soll nicht heissen, dass man immer einer Meinung ist - aber zumindest haben alle das Gefühl, im selben Boot zu sitzen. Jeder kann mit jedem direkt sprechen. Die formalen Rechte eines Betriebsrats werden deshalb oft als überflüssig empfunden (auch von den Mitarbeitern!).

  • Selbst kleine, erst recht mittlere und große Firmen sind komplexe soziale Gefüge. Auch wenn der Betriebsrat theoretisch von allen gewählt wird, so neigen viele Betriebsräte de facto zu einer Klientelpolitik (sprich: Sie vertreten z.B. die Interessen von einer bestimmten Mitarbeitergruppe in der Produktion). Die Interessen sind oft stark gegenläufig - der eine will vielleicht flexible Arbeitszeiten und eine variable Entlohnung, der andere nicht. Vertritt der Betriebsrat eine Gruppe von Mitarbeitern, wenden sich die anderen ab. Viele Mitarbeiter haben solche enttäuschenden Erfahrungen und deshalb keinen Ehrgeiz, einen Betriebsrat zu gründen

  • Betriebsräte werden oft von den Gewerkschaften missbraucht (Aua, hierfür kriege ich bestimmt eins auf die Mütze!). Die meisten Mitarbeiter haben ein ehrliches Interesse an dem Wohl der Firma - das vereint sie mit der Geschäftsleitung, auch wenn hier natürlich verschiedene Blickwinkel vorhanden sind... die Gewerkschaft hat übergeordnete Interessen. Oft werden hier Grundsatzpositionen in den Betriebsräten "durchgedrückt", die für die Gewerkschaft insgesamt richtig und gut sein mögen, für den einzelnen Betrieb aber nicht. Das ist wirklich kein Einzelfall. Wenn Mitarbeiter einmal erlebt haben, wie sich Betriebsräte wie "ferngesteuert" verhalten, dann wählen die nie wieder einen Betriebsrat...

  • Wenn Betriebsrat und Geschäftsleitung vermehrt gegeneinander und weniger miteinander arbeiten, hat das oft einen Stillstand zur Folge: Veränderungen lassen sich nicht durchsetzen oder müssen immer teuer erkauft werden (nicht im Sinne von Bestechung, sondern im Sinne von Privilegien für die Mitarbeiter). Das ist zwar mittelfristig für die Mitarbeiter gut, langfristig führt diese mangelnde Flexibilität aber zu einem Wettbewerbsnachteil für den Betrieb und damit zur Insolvenz oder zu einem starken Abbau von Arbeitskräften.

  • Gerade die letzten beiden Punkte sind ein Grund für viele Geschäftsleitungen, sehr sensibel auf die Gründung eines Betriebsrates zu reagieren. Hier wird zumeist in zwei Richtungen gearbeitet: Mit Zuckerbrot und Peitsche. Sprich: Gut zuhören, um große Unzufriedenheit zu vermeiden. Einzelne Unzufriedene isolieren und ggf. Druck ausüben.

  • Größtes Argument: Die meisten Mitarbeiter sind halbwegs zufrieden - oder zumindest nicht so unzufrieden, dass sie ein zusätzliches Engagement in dieser Richtung ernsthaft in Erwägung ziehen. Wenn man das negativer sieht, könnte man auch sagen: Da herrscht eine gewisse Gleichgültigkeit. Sicherlich ist nicht immer alles gut, aber die wenigsten denken, dass es mit Betriebsrat wesentlich besser wird...

Nochmal zur Klarstellung: Es gibt natürlich auch Gründe, die für einen Betriebsrat sprechen, aber das war ja nicht wirklich gefragt...

jojo23947  17.02.2017, 21:00

eine sehr gute und ausgewogene Antwort!

Zander1961  01.03.2010, 20:28

Ich hoffe das das positive in deiner reellen Meinung überwiegt. Denn ein bedachter Betriebsrat macht durchaus viel Sinn.

Ich persönlich kenne keinen Grund die gegen einen BR sprechen würde.

Ausnahmen gibt es natürlich immer wieder (leider).

Hallo!

Deine Top Bewertung hat ja schon alles geschrieben was für einen BR spricht.

Bei der Einsetzung und der Wahl eines neuen Betriebsrates steht dir die Gewerkschaft gerne zur Seite.

Wie du schon geschrieben wurde ist es keine Pflicht bei der Gewerkschaft zu sein. Aber ohne tut sich ein neuer BR sehr, sehr schwer. Das die Gewerkschaft einen BR missbraucht kann ich als unrichtig bezeichnen.

Betriebe haben eigentlich keine Nachteile, wenn sie es zulassen, dass ein Betriebsrat gewählt wird. Zwar haben Betriebsräte einen besonderen Kündigungsschutz, sie sind aber nicht unkündbar. So kenne ich einen Betriebsrat, der 100 - in Worten EINHUNDERT - Kündigungen und diverse Gerichtsprozesse mit seinem Arbeitgeber geführt hat. Dies ist zwar ein krasser untypischer Fall, er zeigt aber sehr genau, dass Betriebsräte sehr aufreibende Arbeit für die Beschäftigten leisten und persönliche Risiken eingehen. In dem beschriebenen Fall hat der Betriebsrat irgendwann genervt aufgegeben und hat das Unternehmen verlassen. Bei Großbetrieben ist es eher so, dass hier angepaßte Betriebsräte von dem Arbeitgeber gesteuert werden, dies verhindert wichtige Betriebsratsarbeit, schafft aber für betriebliche Umstrukturierungen und die Sozialauswahl harte Fakten, die von einzelnen Beschäftigten nicht wieder angegriffen werden können. Aus diesem Grunde sind Großbetriebe ohne Betriebsräte eher selten. Ausdrücklich möchte ich betonen, dass Betriebsräte für die Beschäftigten wichtig sind, Beschäftigte sollten nicht verzichten einen Betriebsrat zu wählen.

Ein Betriebsrat, kann in einer kleinen Firma auch großen Schaden anrichten.Die Kosten die dadurch entstehen,können Deinen Arbeitsplatz durchaus gefährden.Leider haben wir diesen Fall in unserer Firma!

Zander1961  01.03.2010, 20:26

Wie du schon sagtest kann. Aber ein richtiger BR sieht beide Seiten. Das Wohl der Firma und der Belegschaft. Dann ist so was ausgeschlossen!