Zwangsurlaub als Azubi weil Kurzarbeit?
Hallo zusammen,
aufgrund von Corona hat mein Betrieb für mehrere Wochen Kurzarbeit angemeldet, über die kommenden Monate verteilt. Mir wurde vermittelt, dass ich, weil ich ja Azubi bin, keine Kurzarbeit machen darf. Also muss ich Urlaub nehmen. Bis jetzt waren es schon 7 Tage, dabei hab ich nur 25 im Jahr. Ist das so überhaupt Rechtens?
Danke im Voraus.
LG
2 Antworten
Ist das so überhaupt Rechtens?
Schlicht und einfach: Nein.
Mir wurde vermittelt, dass ich, weil ich ja Azubi bin, keine Kurzarbeit machen darf.
Das ist - so absolut - nicht richtig.
Grundsätzlich kommt für Auszubildende zwar keine Kurzarbeit in Frage, sie ist aber doch möglich, wenn anderen Alternativen, eine Kurzarbeit zu verhindern (dazu zählt aber nicht der Zwangsurlaub!), nicht oder nicht mehr gegeben sind; gibt es keine Ausweichmöglichkeiten/Alternativen, um Kurzarbeit für Auszubildende zu verhindern, können auch sie in Kurzarbeit "geschickt" werden - wenn sie zustimmen (siehe zum Problem "Auszubildende und Kurzarbeit" die Informationen auf dieser Seite: https://www.hannover.ihk.de/ausbildung-weiterbildung/ausbildung/ausbildungsinfos/kurza09.html ).
Eine solche Situation (der Betrieb muss oder will wegen der gegenwärtigen Krise schließen oder seine Aktivitäten drosseln, oder der Arbeitgeber will das aus eigener "Sorge") fällt in das Betriebsrisiko des Arbeitgebers - und das darf er nicht auf die Arbeitnehmer und Auszubildenden abwälzen.
Die Rechtslage ist eindeutig und ergibt sich für Dich wesentlich aus folgenden Bestimmungen (in meiner Antwort erklärt):
- Bürgerliches Gesetzbuch BGB § 615 "Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko"
- Berufsbildungsgesetz BBiG§ 19 "Fortzahlung der Vergütung" Abs. 1 Nr 2
- Bundesurlaubsgesetz BUrlG § 7 "Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs" Abs. 1 Satz 1
1.>> Grundlage ist einmal das Bürgerliche Gesetzbuch BGB § 615 "Vergütung bei Annahmeverzug und bei Betriebsrisiko":
Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Er muss sich jedoch den Wert desjenigen anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erwirbt oder zu erwerben böswillig unterlässt. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend in den Fällen, in denen der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt.
Also:
Wenn der Arbeitgeber den Betrieb schließen oder "drosseln" (Kurzarbeit) muss oder das aus eigener Entscheidung will, muss er die Arbeitnehmer/Auszubildenden trotzdem so bezahlen, als würden sie normal weiterarbeiten.
Sie müssen die tatsächlich aber nicht gearbeiteten Stunden auch nicht nacharbeiten oder mit ihren eigenen Ansprüchen (Entgelt, Überstunden, Urlaub) verrechnen lassen.
Denn es gehört, neben der Bezahlung des Entgelts, zu den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten des Arbeitgebers, die Arbeitnehmer/Auszubildenden für die vertraglich vereinbarten oder üblicherweise geleisteten Arbeits-/Ausbildungsstunden zu beschäftigen. Beschäftigt der Arbeitgeber sie aber nicht ausreichend oder nicht wie vereinbart - gleichgültig, aus welchen Gründen (ob er nicht kann, z.B. weil der Strom ausgefallen ist oder der Betrieb durch behördliche Anordnung geschlossen werden muss, oder ob er nicht will, z.B. weil ihn die Sorge um das Corona-Virus umtreibt) -, fallen die Konsequenzen aus der Nicht-Beschäftigung ihm zur Last.
Strenggenommen ist aber Voraussetzung (eigentlich), dass die Arbeitnehmer/Auszubildenden diesen Zustand (dass der Arbeitgeber sie wegen der verordneten oder selbst entschiedenen Schließung oder Einschränkung des Betriebs nicht oder nicht genug beschäftigen bzw. ausbilden kann oder sie in den Urlaub schicken will) nicht widerspruchs- oder kommentarlos hinnimmst, sondern sich für die Arbeit/Berufsausbildung bereithalten.
Auch das ist gesetzlich festgelegt im BGB § 293 "Annahmeverzug" in Verbindung mit § 294 "Tatsächliches Angebot" (für die Auszubildenden auch wie unter Punkt 2. beschreiben). Aber vielleicht ist ihm diese Voraussetzung (die im Übrigen nicht immer zwingend erfüllt sein muss) auch nicht bekannt.
2.>> In Deinem Fall als Auszubildenden kommt ohnehin noch dazu, dass auch das Berufsbildungsgesetz BBiG den Arbeitgeber zur Fortzahlung der Ausbildungsvergütung für 6 Wochen auch ohne Ausbildungstätigkeit verpflichtet; in § 19 "Fortzahlung der Vergütung" Abs. 1 Nr 2 heißt es nämlich:
Auszubildenden ist die Vergütung auch zu zahlen
[...]
2.bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn sie
a)sich für die Berufsausbildung bereithalten, diese aber ausfällt oder
b)aus einem sonstigen, in ihrer Person liegenden Grund unverschuldet verhindert sind, ihre Pflichten aus dem Berufsausbildungsverhältnis zu erfüllen.
3.>> Dann zum Urlaub: Nach dem Bundesurlaubsgesetz BUrlG § 7 "Zeitpunkt, Übertragbarkeit und Abgeltung des Urlaubs" Abs. 1 Satz 1 ist in der Urlaubsfrage der Arbeitgeber der Schuldner des Arbeitnehmers/Auszubildenden und hat hier kein Weisungsrecht (bis auf die unten genannte Ausnahme oder wenn Urlaub verordnet werden muss, damit er nicht verfällt); der Arbeitnehmer/Auszubildende bestimmt, wann er Urlaub nimmt, und der Arbeitgeber hat dem zu entsprechen, wenn nicht wirklich dringende betriebliche Belange eine Verweigerung rechtfertigen; bei Auszubildenden können in aller Regel aber keine betrieblichen Gründe angeführt werden, weil sie zur Ausbildung da sind und nicht, um den Betrieb "am Laufen zu halten".
Der Arbeitgeber darf nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen über maximal 3/5 des (gesetzlichen) Urlaubsanspruchs des Arbeitnehmers (oder Auszubildenden) verfügen!
Das ist dann der Fall, wenn der Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Gründen Betriebsurlaub verordnen darf (weil ein Zulieferbetrieb Betriebsurlaub macht und deshalb wegen ausbleibender Lieferungen für eine bestimmte Zeit nicht produziert werden kann, oder wenn der Arzt wegen eigenen Urlaubs seine Praxis schließt) und diesen Betriebsurlaub rechtzeitig - mindestens mit 6-monatigem Vorlauf/zu Beginn des Urlaubsjahres - ankündigt.
Diese Voraussetzungen für Zwangsurlaub/Betriebsurlaub sind in der konkreten Situation aber nicht gegeben!
Kurz und gut:
Der Arbeitgeber darf Dich nicht zwingen, jetzt Deinen (gesetzlichen) Urlaub für dieses Kalenderjahr "einzusetzen", um die Zeiten von Kurzarbeit oder Nicht-Beschäftigung zu "überbrücken"!
so eine ausführliche Antwort hab ich nicht erwartet
Es würde Dir für Deine Argumentation gegenüber dem Arbeitgeber ja kaum etwas helfen, wenn ich auf die Frage "Ist das so überhaupt Rechtens?" nur mit einem zwar richtigen, aber doch allzu lapidaren und darum überhaupt nicht hilfreichen "Nein!" geantwortet hätte.
Dann wünsche ich dir gute Nerven (Standing!) und viel Glück!🍀👍
Ja, ist es.
Urlaubsansprüche und Überstunden sind vorrangig zu behandeln.
Ja, ist es.
Nein, ist es nicht.
Urlaubsansprüche
Das betrifft aber nur Resturlaubsansprüche aus dem Vorjahr (die in der Regel verbraucht oder verfallen sein dürften).
Auf den aktuellen Urlaubsanspruch hat der Arbeitgeber in diesem Fall keinen Zugrifft - zumindest. was den gesetzlichen Urlaub betrifft.
Urlaubsansprüche und Überstunden sind vorrangig zu behandeln.
Vorrangig vor was?
Wow so eine ausführliche Antwort hab ich nicht erwartet, aber vielen Dank dafür! Ich hatte eigentlich auch alle meine Urlaubswochen schon verplant, die musste ich wieder stornieren. Ich werde mich nächsten Montag als erstes an die Personal Abteilung wenden, dankeschön.
LG