Wie oft kommt es vor, dass Schöffen den Berufsrichter überstimmen (Beschreibung lesen)?

7 Antworten

Mir ist bekannt, dass der Vorsitzende Richter fast immer versucht sein Urteil durchzusetzen und oft hat er natürlich als Jurist den besseren Überblick insgesamt und oft auch die besseren Argumente.

Ich weiss aber auch, dass Schöffen sich für eine Strafe zur Bewährung ausgesprochen und durchgesetzt haben, obwohl der Richter für eine Haftstrafe ohne Bewährung war.

Wie oft das vorkommt, kann ich Dir nicht sagen, ich selbst habe das noch nicht erlebt.

Ich bin Schöffin am Arbeitsgericht.

Bei unseren Besprechungen hält sich der Richter erst einmal zurück und fragt den anderen Schöffen (Arbeitgebervertreter) und mich (Arbeitnehmervertreterin) nach unserer Meinung und Einschätzung.

Wir sind hier meist einer Meinung und nachdem wir diese mitgeteilt haben äußert sich der Arbeitsrichter und wir reden über alle Aspekte, die uns zum Verfahren einfallen, fragen evtl. noch einmal Dinge nach, die wir nicht mehr genau wissen und kommen dann zu einem Urteil.

Oft ist das aber gar nicht nötig, da sich die Parteien, die sich im Gütetermin noch nicht einigen konnten, doch noch vergleichen.

Die Schöffen können den Berufsrichter überstimmen. In meiner 15- jährigen Tätigkeit dort war das 2 x der Fall.

In den Beratungen werden die Fakten des Falles noch einmal von allen besprochen. Jeder ist gehalten, sich Notizen zu machen, besonders bei mehrtätigen Verhandlungen ist das unabdingbar. Dann vergleicht man mal die eine oder andere Aussage, wägt ab, wie die Motivlage war etc.

Der oder die Berufsrichter erklären dann, welches Strafrahmen möglich ist, ggf. unter Einbeziehung vorheriger Strafen und stellen in der Regel einen "von-bis Rahmen " vor, den sie sich vorstellen. Dann haben wir immer diskutiert, wie sieht der Einzelne z.B. eine Sozialprognose, warum scheint die doch nicht so gut zu sein etc.

Ich hatte das große Glück an einem Landgericht tätig zu sein, an dem die Schöffen als wichtiges Glied gesehen werden und auch gehört werden. Mir hat die Aufgabe, die ich sehr erst genommen habe, viel "Freude" bereitet. Ich habe das gern gemacht.

Uns wurde auch nahegelegt- und das haben sehr viele auch wahrgenommen- einen Besuch in einer nahe gelegenen Justizvollzuganstalt zu machen, ebenso wie in einem Jugendgefängnis. Organisiert wurde das auch seitens unseres Gerichtes und ein Richter hat uns begleitet.

Beides war bedrückend- man gibt seine Identität an der Einganstür ab. Jede Tür wird hinter einem zugeschlossen, ohne Hilfe einer anderen Person kommt man nicht von A nach B.

Das war gut und wichtig, schließlich entscheidet man als ehrenamtlicher Richter auch darüber, ob jemandem die Freiheit entzogen wird und wenn ja, wie lange.

Wir wurden auch vor nahezu jeder Verhandlung daran erinnert, dass es unser gutes Recht, ja sogar eine Pflicht ist, Fragen zu stellen, wenn wir dran sind. Hatten wir vorher Unklarheiten, gab es bei uns die Absprache, die Frage auf einen Zettel zu schreiben, wenn sie gerade wichtig erschien und der Richter hat sie direkt gestellt.

Oft trauen Schöffen sich nicht, Fragen zu stellen, das ist grundfalsch.

Man kann auch entsprechende Seminare besuchen, die vom Schöffenverband angeboten werden. Die sind auch hilfreich, um sich auf die Aufgabe vorzubereiten.

Woher ich das weiß:eigene Erfahrung
horrorfan97 
Beitragsersteller
 17.02.2020, 22:18

Danke für die ausführliche Antwort :)

Wie haben die Richter da reagiert, als sie überstimmt wurden?

Ok, wird die Arbeit der Schöffen am Amtsgericht etwa nicht so geschätzt wie am LG? Wenn ja, wieso?

sassenach4u  18.02.2020, 08:27
@horrorfan97

Der Richter konnte in beiden Fällen unseren Erläuterungen folgen. Er wollte Gefängnis, wir noch eine letzte Bewährungsstrafe, da wir eine günstige Sozialprognose sahen. Da konnte er mitgehen.

Es liegt nicht an der Form des Gerichtes sondern an den dort arbeitenden Richtern und deren Vorsitzenden. Ich habe auch noch eine Periode am hiesigen Amtgericht vorweg gehabt und auch dort einen Vorsitzenden gehabt, der die Beteiligung der Schöffen für wichtig hielt. Und als ich am LG auf einen Richter traf, der da etwas anders drauf war, habe ich ihn damit konfrontiert. Er stutzte und ließ sich dann auf ein Gespräch ein.

Ich habe mich aber auf das Amt auch vorbereitet. Auf eigene Kosten Seminare beim Schöffenverband gemacht und mir die Bücher dazu gekauft. Damit konnte ich natürlich auch sicherer auftreten.

Und man muss auch Mitschöffen in der Verhandlungpause "aktivieren". Frag nach deren Meinung, was sie sich zu dem oder dem notiert haben. Manche glotzen dann dumm, weil sie da nur rumsitzen. Mal Schöffe sein- klingt toll.

Das sind die, die diese Aufgabe nicht freiwillig machen. Leider gibt es immer mehr davon, da sich freiwillig zu wenig melden....

horrorfan97 
Beitragsersteller
 18.02.2020, 09:36
@sassenach4u

Ok. Vielleicht meld ich mich auch mal als Schöffe. Allerdings darf ich jetzt noch nicht, bin noch keine 25 xD

sassenach4u  18.02.2020, 09:41
@horrorfan97

Mach ruhig, du bekommst interessante Einblicke. Die Schöffenperiode hat in 2019 angefangen, endet 2023. Vorher mal bei deiner Stadt anfragen, so im Sommer, dort gibt es ein Bewerberformular.Ich habe es gern gemacht und hatte in der Regel das ganze Spektrum vom BTM über Betrug bis hin zur Vergewaltigung in der Ehe. Der letzte Fall war der spektakulärste: ein Mord. Da muss man Nerven haben, Tatortbilder, Opferbilder auch der Autopsie und den Bericht, das muss man aushalten können.

horrorfan97 
Beitragsersteller
 18.02.2020, 09:43
@sassenach4u

Ok.

Hast du als Schöffe jetzt eigentlich ein anderes Bild von Tätern als früher?

Ich kann da nur einen Teil der Antwort aus eigener Erfahrung liefern. Ich bin im weiteren Arbeitsbereich der Jugendgerichthilfe tätig und war schon bei vielen Jugendgerichtsverhandlungen anwesend. Da habe ich natürlich nicht mitbekommen, wer wie stimmt, jedoch ist da ganz klar mein Eindruck, dass der Richter die Richtung vorgibt. Während der Verhandlung kann man da meistens schon erkennen, wie der Richter die Sache bewertet. Schöffen stellen da höchstens ganz selten mal irgendwelche Nachfragen. Insofern behaupte ich mal, dass zumindest im Strafgericht die Angelegenheit meistens recht klar vom Richter entschieden wird, Statistiken kenne ich dazu aber auch keine und wahrscheinlich obliegt das auch der Geheimhaltung.

Ich war 4 Jahre Schöffe und habe vom Richter gehört, dass ihm das in seiner Karriere nur einmal passiert ist. Es kommt also eher selten vor.