Wann können Gerichte Gnade vor Recht ergehen lassen?

12 Antworten

Wenn man "Gnade vor Recht" nur bildlich versteht, im Sinne von "eigentlich hättest du Knast verdient, aber ich setze es für dieses eine Mal noch zur Bewährung aus", dann kommt das schon mal öfter vor. Natürlich müssen sich hier die Richter auch in dem Rahmen halten, der ihnen vom Gesetz vorgegeben ist - aber sie haben eben einen Beurteilungsspielraum und können diesen in die eine wie in die andere Richtung ausnutzen.

Beispiel: Bei einer einfachen Körperverletung ist eine Strafe von bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Der Strafrahmen ist dadurch natürlich riesig: Von einem Monat bis zu 5 Jahren (wenn nicht eine Geldstrafe verhängt wird). Hilfestellungen, wie die genaue Strafe jetzt zustande kommt, gibt das Gesetz zwar, doch die Richter haben eben einen großen Spielraum. In diesem Rahmen können sie "Gnade vor Recht" ergehen lassen, wobei dieses geflügelte Wort im wörtlichen Sinne eigentlich nicht passt, da die Richter sich ja dann innerhalb des vom Gesetz gegebenen Rahmens halten und nicht darüber hinaus gehen.

Ein Beispiel dafür, was nicht gehen würde: Wer einen bewaffneten Raubüberfall begeht, macht sich nach § 250 StGB strafbar. Die Strafdrohung ist 3 Jahre bis 15 Jahre Freiheitsstrafe. Ein Gericht könnte hier (wenn keine gesetzlichen Milderungsgründe vorliegen) nicht einfach auf eine Strafe von einem Jahr entscheiden. 

"Gnade vor Recht" in dem Sinne, dass ein Gericht eine rechtlich strikt vorgesehene Folge nicht verhängt und also gegen das Gesetz entscheidet, wäre Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und der oder die Richter würden sich dadurch strafbar machen.

Das Gesetz selbst gibt aber einige Möglichkeiten, um Menschen, die eine Straftat begangen haben, milder oder gar nicht zu bestrafen. Ein gutes Beispiel ist dafür § 60 StGB. Nach diesem kann das Gericht von Strafe absehen, wenn der Täter durch die Folgen der Straftat genug bestraft ist, sodass eine zusätzliche rechtliche Strafe offensichtlich verfehlt wäre.

Beispiel: Mann A fährt mit 1,5 Promille das Auto, in dem auch seine Frau und ein Arbeitskollege sitzen. Er verursacht infolge des Alkohols einen Unfall, bei dem seine Frau stirbt und sein Arbeitskollege sich ein Bein bricht. A muss von jetzt an alleine für seine 4 Kinder sorgen.

Hier hat sich A wegen § 315c StGB (Gefährdung des Straßenverkehrs), § 222 StGB (fahrlässige Tötung) und § 229 StGB (fahrlässige Körpverletzung) strafbar gemacht. Allerdings haben ihn die natürlichen Folgen der Tat schon so schwer getroffen, dass das Gericht von einer Strafe absehen kann.

In solchen Fällen kommt die Sache aber meist gar nicht erst zur Anklage, weil die Staatsanwaltschaft solche Fälle schon im Vorhinein mit Zustimmung des Gerichts nach § 153b StPO einstellen kann.

Ein wirkliches "Gnade vor Recht" Ergehen-Lassen ist damit zwar nicht wirklich gegeben, da das Recht ja gerade so eine Folge vorsieht, aber der Grundsatz ist der gleiche: Jemand wird trotz begangener Strafe nicht bestraft.

FAZIT:

Ein echtes "Gnade vor Recht" gibt es im deutschen (Straf-)Recht nicht (abgesehen von Begnadigungen, die erst nach einem Urteil ausgesprochen werden können, nicht jedoch vom Richter). Der Richter muss sich immer im Rahmen dessen bewegen, was das Gesetz ihm vorgibt. Allerdings gibt das Gesetz selbst genug Möglichkeiten, die Strafen in die eine wie in die andere Richtung zu "korrigieren".

"Gnade" kann das Gericht dann erkennen, wenn die Folgen einer Straftat den Täter so schwer treffen, dass eine Strafe verfehlt wäre. Absehen von Strafe, nicht Gnade,  wird es genannt und darf bei Strafen bis zu einem Jahr angewandt werden. Gnade kann z.B. der Bundespräsident walten lassen.

Geregelt ist das im § 60 StGB:

"Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat."

Angewandt wurde es schon mehrfach bei fahrlässiger Tötung eigener Kinder. 

Gerichte müssen sich an das Gesetz halten. Sie können in keinem Fall Gnade vor Recht ergehen lassen. Das wäre rechtswidrig. (Art. 20 Abs. 3 GG)

Denn Gnade ist das Gegenteil von Recht. Gnade bedeutet, dass man das Gesetz nicht anwendet.

Früher hatte der König ein Gnadenrecht. Er konnte jemanden begnadigen, nachdem die Gerichte ihn verurteilt haben.

Dieses Gnadenrecht haben heute noch der Bundespräsident für Urteile, die von Bundesgerichten bzw. die Ministerpräsidenten und regierenden Bürgermeister für Urteile, die von Gerichten des Landes gefällt wurden.

Wenn die Sache vor Gericht angekommen ist, dann gibt es keine Gnade vor Recht mehr. Dann entscheidet nur noch die Rechtslage. Ob eine Klage zugelassen wird, entscheidet der Staatsanwalt. 

Bitterkraut  29.08.2016, 11:00

Nein, ob eine Klage zuglassen wird, entscheidet ein Gericht.

Klage ist ein Begriff aus dem Zivilrecht, damit haben Staatsanwälte gar nicht zu tun. Staatsanwälte erheben Anklage, zulassen muß sie ein Gericht.

- Auf jeden Fall, wenn nach Hörung aller Beweise noch Zweifel an der Schuld des Täters bestehen.

- Auch dann, wenn kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht. Das entscheidet mein ich aber die Staatsanwaltschaft.

- Wenn der Täter zum Zeitpunkt der Tat strafmildernde Umstände hat.

Bitterkraut  29.08.2016, 10:07

Wenn Zweifel an der Schuld bestehen darf nicht verurteilt werden, mit Gnade hat das nichts zu tun, das ist Recht.

Wenn kein öffentliches Intersse besteht und der Staatsanwalt keine Anklge erhebt ist das auch keine Gnade, sondern Recht.

Auch ein Urteil, bei dem strafmilderne Umstände berücksichtigt werden, entspricht dem Recht und ist keine Gnade.


Hugito  29.08.2016, 10:17
@Bitterkraut

Das stimmt. Das ist alles Recht und Gesetz. Mit Gnade hat das nichts zu tun.

Lumbago666  29.08.2016, 10:33
@Hugito

Nein mit "Gnade" hat das nichts zu tun.

Trotzdem weiß ich nicht, warum der Fragesteller genau fragt. Und die o.g. sind zumindest Tatbestände, in denen es entweder nicht zu einer Verurteilung oder zu einer Minderung der Strafe kommt.

ErsterSchnee  29.08.2016, 10:03

Auf jeden Fall, wenn nach Hörung aller Beweise noch Zweifel an der Schuld des Täters bestehen

Es gilt die Unschuldsvermutung. Jeder ist so lange unschuldig, bis seine Schuld BEWIESEN ist. Gibt es also Zweifel, ist der Angeklagte zwingend freizusprechen.