Wie mit NEUER Behinderung des Lebensgefährten umgehen?
(Disclaimer: Das ist bewusst nicht unter "Liebe und Beziehung" getaggt - ich will lieber keine Antworten von Menschen, die denken, sie wüssten, wie Beziehungen funktionieren, die aber von Behinderungen keine Ahnung haben 🙃 Eigentlich hat es mit Liebe kaum was zu tun. Es könnte jeder Angehörige sein. Den Tag also bitte weglassen. Danke!)
Also: Angenommen, eine Beziehung funktioniert gut, hat eine schöne stabile Basis seit Jahren.
Dann geschieht ein Unfall, oder eine Krankheit schreitet weiter voran als gedacht/gehofft...
Plötzlich und unerwartet ist einer der beiden Partner dauerhaft erwerbsunfähig und auch in Alltag und Freizeitgestaltung beeinträchtigt.
Der behinderte Mensch hat damit selbst eigentlich kein so großes Problem, ist aber nicht mehr der Alte, was für den gesunden Part unverständlich und eine Herausforderung ist.
Er will Mut zur Genesung machen, während der Behinderte sein Recht auf Akzeptanz verteidigt.
Was tun in einer solchen Situation? Habt ihr hilfreiche Erfahrungen oder Artikel, die ihr zu dem Thema teilen könnt?
(Dicke Ratgeberliteratur bitte nach Möglichkeit in ihrer Quintessenz zusammenfassen - der eine Part kann aufgrund seiner Behinderung nicht lesen und der andere aufgrund seiner Berufstätigkeit ;)
Danke!
5 Antworten
Was du oben beschreibst, ist die Vorbereitung für hässliche und sinnlose Streitereien - jeder wirft dem anderen Egoismus vor, weil er selbst nicht fähig ist, Grenzen zu ziehen.
Der Kranke soll kämpfen, damit der Gesunde sich nicht einschränken muss, der Gesunde soll sich einschränken, damit der Kranke nicht kämpfen muss.
Würden einfach beide direkt sagen, wozu sie bereit sind und wozu nicht, könnte man die Beziehung neu gestalten, Kompromisse finden oder entscheiden, dass es einfach nicht mehr passt...
Das ist schwierig.
Man muss davon ausgehen, dass jeder Partner ursprünglich in der Beziehung auch etwas für sich herausholen wollte. Also er wollte die Beziehung genießen.
Normalerweise würde er sie beenden, wenn das nicht mehr der Fall ist.
Im Falle einer Behinderung des Partners könnte man ihm das also nicht verdenken.
Oft wird im Falle einer Pflegebedürftigkeit ein Partner zum Pfleger, also immer weniger Partner, immer mehr Helfer, Betreuer, Pfleger. Damit wird die ursprüngliche Beziehung ja komplett verändert. Viele Menschen geraten dann irgendwann in einen Burnout und pendeln zwischen Schuldgefühlen, die fürs Weitermachen sprechen, und Frust bis hin zur Aggression und Träumen davon, den Partner zu verlassen, um ihr eigenes Leben auch weiterleben zu können. Das kann man auch keinem verdenken, immerhin gibt es genug Menschen, die nicht in so einer Situation sind und sich viel stärker verwirklichen können.
Wenn der behinderte Partner noch geistig fit ist, also dort keine Einschränkungen hat, würde ich als nichtbehinderter Partner offen mit ihm sprechen. Ihm sagen, was mich belastet, dass ich bestimmte Ansprüche und Vorstellungen an mein Leben habe, Dinge machen möchte, bei denen er vielleicht nicht mitmachen kann, seine Betreuung nur bis zu einem bestimmten Punkt übernehmen möchte, um ihn weiter als Partner und nicht als Betreuungsfall betrachten zu können.
Und dann würde ich nach Lösungen suchen, die uns beide zufriedenstellen. Also weder möchte ich auf meine Freizeit/heit verzichten, noch möchte ich, dass er stundenlang darauf wartet, dass ich ihn bespaße oder betreue.
Hier können Fallen lauern. Meine Oma war fast bettlägerig und vermutlich depressiv, verbrachte jedenfalls freiwillig fast ihre gesamte Zeit im Bett und war stark sehbehindert. Meine Mutter nahm sie in ihren Haushalt auf und kümmerte sich um alles (Essen, Wäsche waschen etc.). Nun wollte meine Oma gern, dass meine Mutter viel Zeit in ihrem Zimmer verbrachte und meine Mutter wollte gern rausgehen und dort aktiv sein. Irgendwann sprach sie mal eine Frau in der Nachbarschaft an, ob die gegen Geld mit meiner Oma reden, sie besuchen, sich mit ihr beschäftigen könnte. Meine Oma hatte alle anderen Kontakte abgebrochen. Als die Frau dann kam, hat meine Oma selbstverständlich gesagt, sie möchte nicht, dass jemand bezahlt wird, um Zeit mit ihr zu verbringen, das wäre demütigend, dann verzichte sie lieber auf Kontakt. Also blieb weiterhin alles an meiner Mutter hängen, die dann jeden Nachmittag mit meiner Oma rausging zum Eis essen etc.
So eine Situation macht also beide kaputt. Einer möchte endlich mal Ruhe, Zeit für sich, Zeit für Hobbys, für Freunde, zum Ausruhen, der andere wartet die ganze Zeit auf soziale Interaktion zusätzlich zu den nötigen Pflegetätigkeiten. Also gibt es entgegengesetzte Wünsche. Das kann bei beiden irgendwann zu immer mehr Frust bis hin zur Aggression führen. Man kennt Berichte, in denen Pflegebedürftige bewusst Chaos machen, einnässen oder einkoten, schreien, immer wieder rufen, dass sie etwas brauchen - weil sie Kontakt wollen und frustriert sind, weil sie alleine gelassen werden. Der Pflegende (Angehörige) dagegen ist ausgelaugt, kann nicht mehr, möchte Zeit alleine, vermeidet daher immer mehr Kontakt, weil der zunehmend mit Frust verbunden ist. Irgendwann besteht Aggression auf beiden Seiten, einer macht Vorwürfe, dass man ihn alleine lässt, der andere fühlt sich schuldig und möchte immer weniger mit dem Pflegebedürftigen zu tun haben, weil sein komplettes Leben sich zunehmend nur noch auf Pflege beschränkt und er alle sozialen Kontakte, Hobbys, Ausgleichszeiten verliert.
Man kann das Problem mit professioneller Hilfe und Hilfe aus dem Freundeskreis umgehen, wenn es also Menschen gibt, die auch mal Zeit mit dem Pflegebedürftigen verbringen, während der Pflegende eigenen Hobbys nachgehen kann.
Trotzdem wird sich vermutlich langfristig nicht Frust auf beiden Seiten vermeiden lassen, weil einer sehr viele Freiheiten hat und der andere komplett auf "Bespaßung", Beschäftigung und zusätzlich Betreuung (alles, was er nicht alleine kann) angewiesen ist.
Dabei geht sehr oft zunehmend die Partnerschaft verloren, also eine gleichwertige, liebende Beziehung verwandelt sich in "ich gebe und du nimmst".
Je mehr Druck aufgebaut wird, wird jeder Beteiligte auf seiner Meinung bestehen. Zunächst ist es ein Schock, wenn sich die Verhätnisse so dramatisch verändern und die Lage völlig anders ist.
Damit haben beide zu kämpfen, daran haben beide zu knabbern. Während der eine meint, es bliebe so und versucht,. sein Schicksal anzunehmen, drängt der andere auf Besserung. Jeder hat für sich recht.
Es braucht Zeit, bis die neue Situation ankommt und bewältigt wird. Liebe ist sicher hilfreich, aber es darf nicht übergriffig werden. Die Akzeptanz bringt euch erst mal einen Schritt weiter. W
ie sich der Alltag ändert oder neu gestaltet werden muss, zeigt die Zeit und die neuen Erfahrungen.
Eine sehr individuelle Angelegenheit. Ich kenne mindestens zwei Menschen, die nach Diagnose einer nicht heilbaren Krankheit von ihren langjährigen Ehepartnern verlassen wurden. Hauptargument: "Ich bin noch zu jung, um den Rest meines Lebens an einen Kranken gebunden zu verbringen."
Aber ich kenne auch solche, die sich komplett umgestellt haben und den anderen nicht allein gelassen haben.
Das wäre die erste Entscheidung, die man treffen müsste. Entscheidet man sich zum Bleiben, wird man mit dem behinderten Partner zunächst anders umgehen müssen als vorher, weil er ja erst einmal selber mächtig zu tun hat, die neue Situation zu akzeptieren, ohne Garantie, dass das Akzeptieren gelingt, und sich nicht die Tür zur Depression ganz weit öffnet.
Auch das wird sich individuell ganz verschieden entwickeln, sodass man eigentlich nur die Empfehlung zu Feinfühligkeit, Geduld und Toleranz geben kann.
Sinnvoll ist es auch, sich innerlich darauf vorzubereiten, dass die Sache schiefgeht. Es ist sehr hart für einen jungen, gesunden Menschen voller Pläne, sich plötzlich völlig umzuorientieren. Wenn man damit nicht fertig wird, ist das kein Versagen sondern einfach eine Hürde, die für einen persönlich eine Nummer zu hoch ist. Dafür hat man andere Talente.
Und auch der Kranke kann abdriften, wenn er bemerkt, dass er plötzlich "Klotz am Bein" ist. Wer will das schon? Also eine Riesenaufgabe für beide, bei der man viel mit anderen reden sollte, aber trotzdem eine individuelle Lösung braucht.
Er will Mut zur Genesung machen, während der Behinderte sein Recht auf Akzeptanz verteidigt.
Das beste was die gesunde Person für den Menschen mit Behinderung tun kann ist die Realität akzeptieren und auszuhalten. Wenn du ständig daran arbeitest die Behinderung wegzumachen, dann fühlt sich die behinderte Person von dir persönlich abgelehnt. Für die Genesung und Beseitigung sind andere zuständig.
Behandel die veränderte Person so normal wie es geht. Frag nach, was diese person noch selber kann und selber machen will. Respektiere das.