Warum wird Anarchismus als linksextrem eingestuft?

11 Antworten

Kommunisten/Sozialisten und Anarchisten haben beide das gleiche Ziel, einen herrschaftsfreien Kommunismus, lediglich der Weg dorthin unterscheidet sie. Anarchisten wollen eine klassen,- und staatenlose Gesellschaft möglichst gleich, Kommunisten betrachten das hingegen als Utopie und gehen den Weg zum Kommunismus erst einmal über den Sozialismus. Sie gehen mithin etappenweise vor. Letztere sind bis dato nicht an dieses angestrebte Ziel angelangt.

DanielJ1978  06.02.2017, 11:57

Hier wollen wir doch bitte unterscheiden und zwar zwischen Kommunismus und Kommunismus. Kommunismus in seiner ursprünglichen, prämarxistischen, Veranlagung ist deutlich von der marxistischen oder auch parteikommunistischen Linie zu unterscheiden. Während der prämarxistische Kommunismus tatsächlich sehr nah an anarchistischen Ideen und Leitbildern liegt, hat der Kommunismus marxistischer Ausprägung damit nur noch äußerst wenig zu tun. Das liegt zu einem beträchtlichen Teil daran, daß Marx zwar von der Befreiung der Arbeiterklasse und deren Gleichberechtigung schrieb, gleichsam dieser Arbeiterklasse aber alle Fähigkeit zur Selbstverwaltung absprach und den Bestrebungen der Arbeiter eine Führungsriege anriet. Darauf basiert der Parteikommunismus, der von einem absurden Führungsanspruch gewisser Teile der Bewegung über andere ausgeht.

Zum Erreichen des angestrebten Zieles einer anarchistischen Gesellschaft:

Sie schreiben, daß dieses Ziel bislang nicht erreicht wurde. Das ist insofern falsch, daß es eben doch funktionierende anarchistische Gesellschaften gab. So entstand, nach der Machtübernahme der Kerenski-Regierung im Februar 1917 in Russland, zwischen 1917 und 1921 eine anarchistisch geprägte und funktionierende Gesellschaft auf dem Gebiet der Ukraine. Während des gesamten russischen Bürgerkriegs - welcher übrigens von marxistischen Parteikommunisten vom Zaun gebrochen wurde - blieb die Ukraine als anarchistisches Gebilde bestehen. Die Kerenski-Regierung ließ die Anarchisten in der Ukraine gewähren, da diese für die russische Regierung zu dieser Zeit keine Bedrohung darstellte. Erst mit der vollständigen Machtübernahme durch Lenin und Stalin in Russland gerieten die ukrainischen Anarchisten unter Nestor Machno ins Visier des russischen Nachbarn, da die anarchistischen Ideen und deren erfolgreiche Umsetzung für den Großmachtswahn der russischen Parteikommunisten tatsächlich gefährlich waren, weil sie zeigten, daß es eben auch ohne Führung durch Eliten geht.

Eine zweite funktionierende anarchistische Gesellschaft etablierte sich in Spanien etwa um 1936. Hier ergab sich nach der Flucht von Großkapitalisten und Großbauern das schlichte Problem der Versorgung mit Lebensmitteln und Verbrauchsgütern. Auf Grund dessen übernahmen Arbeiter und Bauern die industriellen und landwirtschaftlichen Betriebe in Selbstverwaltung. Dieses Konzept war so erfolgreich, daß die, nach dem Sieg der Francofaschisten zurückkehrenden Grundbesitzer feststellen mußten, daß ihre Betriebe und Höfe deutlich produktiver waren als vorher. Das lag vor Allem daran, daß die spanischen Anarchisten so wirtschafteten, daß jeder Bürger das hatte was er zum Leben brauchte und einer Anhäufung von Kapital in wenigen Händen durch die Bevölkerung selbst entgegengewirkt wurde. Überschüsse wurden also nicht in die Hände eines dubiosen Fabrikbesitzers gegeben, sondern in bessere Produktions- und Arbeitsbedingungen investiert. Auch diese anarchistische Gesellschaft fiel denn Allmachtsfantasien eines Einzelnen zum Opfer, nämlich denen des Faschisten Franco.

In der heutigen Zeit finden sich funktionierende anarchistischen Strukturen oft innerhalb von etablierten Staaten. So gibt es in Südamerika indigene Gruppen, die zwar in der Theorie dem Gesetz nach einem Staat untergeordnet sind, von diesem aber weitestgehend ignoriert werden und sich so funktionierende, dem Anarchismus äußerst ähnliche Strukturen bewahren konnten. Gleiches gilt für Ureinwohner in einigen afrikanischen Staaten, die in der postimperialen Entwicklung zwar auch zu verschiedenen Staaten gehören, diese aber in ihrem täglichen Leben und im Umgang miteinander ausblenden und ebenfalls funktionierende, als anarchistisch zu bezeichnende Strukturen entwickelt haben.

Nicht zuletzt gibt es auch in Deutschland Gruppen innerhalb des Staatskonstruktes welche zwar der Form halber "regelkonforme" Strukturen aufweisen, in der eigentlichen Zusammenarbeit unter- und miteinander jedoch auf hierarchielose Strukturen bauen. So gibt es Vereine die sich zwar, um als Verein anerkannt werden zu können entsprechende Strukturen geben, diese aber in ihrer Arbeit völlig außen vorlassen. So gibt es zwar auf dem Papier Vorstände, diese haben jedoch in der realen Arbeit und Mitgliedern gegenüber keinerlei Autorität oder Weisungsberechtigung. Das ist zwar eine verwässerte Form des Anarchismus, zeigt aber, daß diese Idee im Kern funktioniert.

voayager  06.02.2017, 12:37
@DanielJ1978

Das liegt zu einem beträchtlichen Teil daran, daß Marx zwar von der
Befreiung der Arbeiterklasse und deren Gleichberechtigung schrieb,
gleichsam dieser Arbeiterklasse aber alle Fähigkeit zur Selbstverwaltung
absprach und den Bestrebungen der Arbeiter eine Führungsriege anriet

Das ist so nicht richtig. Eine Führungsriege ist nur für die Phase des Sozialismus vorgesehen, nicht jedoch in der Epoche des Kommunismus!

Die Selbstverwaltung der Arbeiterklasse ist ein großer Mist, weil die Arbeiter, "deformiert" durch den Kapitalismus einfach nicht die Reife dafür haben, ohne Führungsriege ihre Herrschaft  auszuüben, geschweige denn aufrechtzuerhalten. Räte sollte es dennoc hgeben, allerdings mehr sekundierend, also begleitend.

Die Geschichte kennt kein einziges Beispiel, wo das Proletariat ohne Führung sich politisch behaupten konnte. Alle anarchistischen Versuche scheiterten. Daher sind zwar die Ziele des Anarchismus langfristig erstrebenswert, nicht aber die Wege und das Timing.

Fazit: den Anarchismus sollte man für sich persönlich für das eigene Leben nutzen, nicht jedoch als politische Zielsetzung auf größerer Ebene. Wer das dennoch tut, begibt sich in Kindereien unreifster Art, ist nur ein bloßer Traumtänzer, den man nicht ernst nehmen kann. 

voayager  11.07.2017, 23:06
@DanielJ1978

Daniel, du kennst dich einfach nicht aus, denn du verwechselst Marx mit Lenin. Letztere sprach den Arbeitern die Fähigkeit zur Selbstverwaltung ab, gestützt aus der Erfahrung, dass diese bestwenfalls nutr ein tradeunionistisches Bewußtsein haben, mehr aber auch nicht. Leider hat sich die Einschätzung Lenins als richtig erwiesen.

ManuTheMaiar  11.07.2017, 21:45

Die klassenlose Gesellschaft des Kommunismus ist etwas grundlegend verschiedenes, dort würde aller Besitz staatlich organisiert über alle Menschen verteilt ebenso wie Bildung und die Wirtschaft organisiert wäre in der Anarchie wäre jedoch jeder frei zu tun was er will solange er damit gegen niemanden Gewalt ausübt insbesondere heißt das auch sich Besitz zu verdienen

voayager  11.07.2017, 23:10
@ManuTheMaiar

schon falsch, denn im Kommunismus gibt es gar keinen Staat mehr, ergo kann dann auch nix mehr staatlich organisiert werden.

Wenn man von der ursprünglichen Definition rechts=konservativ und links=revolutionär ausgehts, stimmt diese Zuordnung ja. Anarchie hat es bisher nicht gegeben und widerspricht auch allen Staatsformen dieser Welt. Es ist also neu->links

Straggle  19.10.2018, 23:35

Diese ursprünglichen Definitionen sind aber überholt.

Ersteinmal ist zu sagen das anarchismus und sozialimus sich nicht ausschließen.

Sozialismus ist ein moralsystem bei dem die freiheit und das glück des menschen als oberste priorität steht. Anarchismus ist eine form von gesellschaftlicher organisation die das gegenteil zum totalitarismus dartsellt. Anarchismus lehnt autorität komplett ab. daher kann es auch keinen rechtsextremen anarchismus geben oder rechtsextreme autonome. Da ein integraler bestandteil rechtsextremer ideologie ein starker wunsch nach autoritärer führung so wie eigener führerschaft ist.

Das beim Anarchismus der Staat abgelehnt wird heißt aber nicht, dass es keine organisation der gesellschaft gibt. Das gängigste modell stellt wohl der anarcho syndikalismus dar. hier wird die gesellschaft von unten über basisdemokartische räte "regiert". es gab auch schon regionen in denen das real existiert hat, z.B. in katalonien und den angrenzenden französischen gebieten in denen heute CGT und CNT noch aktiv sind. Allerdings wurde das ganze zerstört als die faschisten in spanien an die macht kamen (verfolgung ermordung etc.). Auch in deutschland wäre es im ruhrgebiet fast zu einer anarchistischen revolution gekommen, doch diese wurde von der SPD brutal niedergeschlagen im Ruhraufstand von 1920.

auch kommunismus und anarchismus schließen sich nicht aus. viele der früheren anarchistinnen wie Michail Bakunin, peter kropotkin, oder emma goldman waren auch sozialistinnen oder kommunistinnen. im krassen gegensatz zu marx lehnten sie aber autorität kategorisch ab. marx war der ansicht man müsse "den massen" den sozialimus sozusagen von oben aufdrücken durch autoritäre führung, dann würde sich die gesellschaft von selbst wandeln, befreien und die führung würde überflüssig.

Bakunin war erbitterter gegner von marx in der autoritätsfrage und hat schon damals profezeit, da ein sozialismus/kommunismus der auf autoritäre unterdrückung setzt eben auch nur in dieser enden wird. und damit sollte er recht behalten wie die sogenannte sowjetunion gezeigt hat. (welche weder sowjet noch union war, sowjet ist russisch für Rat, doch die (arbeiterInnen-)Räte waren nach den anarchistinnen die ersten die lenin beseitigen ließ)

Zur frage nach dem extremismussbegriff. Die sogenannte extremismustheorie ist keine theorie im wissenschaftlichen sinne sondern ein konstrukt der herrschenden und alle kräfte die ihnen ihre macht streitig machen könnten zu diskreditieren. Nach der estremismus theorie besteht politik aus so einer art links rechts spektrum und an den rändern befinden sich "böse menschen". ein seh einfaches und qauch genauso falsches bild. ich würde diesen begriff nicht benutzen er ist einfach nur ein kampfbegriff, der neoliberalen machtelite. wichtig zu verstehen ist aber das der Linksextremismus in dieser vorstellung genauso "schlimm" sein soll wie der rechtsextremismus obwohl linke positionen den rechten positionen diametral entgegenstehen. wenn es in einer gesellschaft aufgrund einer zu weit auseinander klaffenden armuts-reichtums-schere jedoch zu klassenkämpfen kommt/ bzw wenn man den kalssengedanekn ablehnt ganz allgemein zu einer instabilität, hat die geschichte gezeigt schlägt sich die mächtige elite mit ihrem kapital immer auf die seite der faschisten. obwohl man vorher immer was von mitte gelabert hat. interessant daran ist vielleicht auch noch das mussolini in seiner definition von faschismus diesen als weiterführung des korporatismus gesehen hat.


Straggle  19.10.2018, 23:10

Könntest du Beispiele nennen, wo sich die "neoliberale" Machtelite auf die Seite von Faschisten geschlagen hat? Und wieso lehnst du politische Kampfbegriffe ab und verwendest selbst "neoliberal" und "rechtsextrem"? Ist dir bewusst, dass es in dem von dir gepriesenen anarchistischem Katalonien zu Konflikten zwischen Anarchisten und Sozialisten gekommen ist, weil man gemerkt hat, dass man doch nicht wirklich viel gemeinsam hat?

Na ja, eine Gesellschaft ohne Staat ist auch das angestrebte Ideal von Kommunisten.

Ferner war die ursprüngliche Konfrontation die gegenüber dem leibeigenschaftlichen Feudalsystem mit all seiner Beschränkungen individueller Freiheit.

Heutzutage, angesichts formaler gleicher Rechtsstellung aller Menschen und einer sozialstaatlichen Mindestdaseinsfürsorge für sozial Schwache läuft Anarchismus fraglos Gefahr, auch schnell für rechtspopulitische bis -extreme Dampfplauderei instrumentalisiert zu werden...


Na, ich vermute mal, weil beide anti-elitär sind und in gewisser Weise die Gleicheit der Menschen vorn an stellen.