Muss sich ein Krankenwagen mit Blaulicht und Martinshorn an die StVO halten oder hat er immer Vorfahrt?

10 Antworten

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Hallo AndiFCB,

um zu wissen was Blaulicht und Martinshorn überhaupt bedeutet muss mal in den folgenden Paragraphen der Straßenverkehrsordnung schauen.


§ 38 StVO - Blaues Blinklicht und gelbes Blinklicht

(1) Blaues Blinklicht zusammen mit dem Einsatzhorn darf nur verwendet werden, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten.

Es ordnet an:

„Alle übrigen Verkehrsteilnehmer haben sofort freie Bahn zu schaffen“.


Wie man dem fett da gestellten Text entnehmen kann, gibt das Blaulicht im Grunde genommen dem Fahrer gar keine Rechte, sondern schreibt den anderen Fahrzeugen nur vor, dass dem Einsatzfahrzeug freie Bahn zu schaffen haben. Nicht mehr nicht weniger.

Das die Rettungsfahrzeuge z.B. bei Rot in die Kreuzung einfahren dürfen oder schneller als erlaubt fahren dürfen beruht aus folgenden Paragraphen:


[Nur Auszug aus dem Paragraphen und nur für die Frage wichtigen Absätze]

§ 35 StVO - Sonderrechte 

(5a) Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind von den Vorschriften dieser Verordnung befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

 (8) Die Sonderrechte dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.

[Vollständiger Gesetzestext unter: http://www.gesetze-im-internet.de/stvo_2013/__35.html]  


Das bedeutet nun wiederum, dass die Rettungsfahrzeuge zwar unter den genannten Bedingungen von allen Vorschriften der Straßenverkehrsordnung abweichen dürfen, aber er sagt eben auch aus, dass eben keine Vorfahrtsrechte hat.

Auch wenn ein Rettungsfahrzeug in die Kreuzung mit Blaulicht und Martinshorn einfahren will, muss sich der Fahrer vor und während der Einfahrt in die Kreuzung davon überzeugen, dass er keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährdetet. Sieht er dass ein Fahrzeug nicht anhält muss er notfalls anhalten und das Fahrzeug Notfalls durchlassen.

Kommt es zu einem Unfall, weil der Fahrer des Rettungswagen eben nicht unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in die Kreuzung eingefahren ist, trägt auch der Fahrer des Rettungsfahrzeuges die Schuld an dem Unfall.

Allerdings muss der Fahrer des Fahrzeuges der dem Einsatzfahrzeug keinen Platz gemacht hat laut bundeseinheitlichen Tatbestandskatalog mit folgendem Bußgeldbescheid rechnen:


Tatbestandsnummer: 138112

Tatvorwurf: Sie unterließen es, einem Einsatzfahrzeug mit eingeschaltetem blauen Blinklicht und Einsatzhorn sofort freie Bahn zu schaffen.

Ordnungswidrigkeit gem.: § 38 Abs. 1, § 49 StVO; § 24 StVG; 135 BKat

Verwarnungsgeld: 20,00 Euro

Punkte: Nein

Fahrverbot: Nein

Eintrag als A oder N - Verstoß: Nein


Zudem muss sich der Fahrer eine Mitschuld an den Unfall geben lassen und bleibt auf einen Teil seines Schadens sitzen.

Schöne Grüße
TheGrow

AndiFCB 
Beitragsersteller
 30.07.2015, 20:55

Wow, vielen Dank für diese super Antwort!

Krankenwagen, Feuerwehr und Polizei haben Sonderrechte.

Sie dürfen rote Ampeln überfahren und die Geschwindigkeit überschreiten.  Müssen aber so umsichtig fahren, dass sie keine anderen Verkehrsteilnehmer gefährden.

Das heißt sollten sie in so einem Fall einen Unfall bauen haben die schuld.

Grimli  08.02.2016, 00:25

was du beschreibst sind Wegerechte

Ein Krankenwagen mit eingeschaltetem Martinshorn und Blaulicht hat immer Sonderrechte. Der darf natürlich auch bei Rot über die Ampel fahren und die Geschwindigkeit überschreiten. Wäre es nicht sinnfrei, wenn ein Krankenwagen an jeder roten Ampel halten würde und sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten würde, während hinten ein Schwerverletzter mit dem Leben kämpft? Sofern die Verkehrslage es zulässt hat er auch immer Vorfahrt.

Ein Krankenwagen mit Licht und Sound hat Vorrechte im Straßenverkehr. Man kann aber nicht sagen, dass er immer Vorfahrt hat. Die Verkehrssituation kann auch so sein, dass er für einen Moment von seinem Vorrecht keinen Gebrauch machen kann.

Die Folge der Inanspruchnahme von Sonderrechten ist, dass der Begünstigte von den ihm durch die StVO aufgelegten Pflichten befreit wird; die Verkehrsregeln und -gebote (z.B. Vorfahrt) werden dadurch nicht abgeändert. Sie werden jedoch zu Gunsten des Sonderrechtsfahrzeugs eingeschränkt. Dennoch darf der Sonderrechtsfahrer den übrigen Verkehr weiterhin nicht mehr als notwendig behindern oder gefährden. Sonderrechte wirken nicht gegen Dritte. Das heißt, wer Sonderrechte in Anspruch nimmt, wird von den Pflichten der StVO befreit, hat dadurch aber keine besonderen Rechte gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern. Bildlich gesprochen: er muss an der roten Ampel zwar nicht warten; wenn aber Querverkehr herrscht, muss der ihn auch vorlassen. Dazu müsste er aber Wegerecht nach § 38 StVO in Anspruch nehmen.

In den Antworten wird teils auch Sonderrecht und Wegerecht in "einen Topf geworfen" und gemischt.

siggibayr  04.08.2015, 09:57

Zusatz: Adressat für Sonderrechte sind die Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeugs, Wegerechte beschreibt das Verhalten von allen anderen Verkehrsteilnehmer