Fühle mich durch mein Studium nicht qualifiziert für den Berufseinstieg

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Also ein Kumpel von mir arbeitet zwar in dem Bereich, in dem ihm sein Studium was hätte bringen sollen, aber im Prinzip hat er sich auch erstmal da reinfuchsen müssen. Das Problem war eher, dass langjährige Angestellte halt weniger verdienen als sein Einstiegsgehalt betrug und die sich dann auch alle nichts sagen lassen wollten. Er füllt halt nun so eine Lücke, ist irgendwie Mädchen für alles und da ist es durchaus hilfreich, dass er einfach den "Überblick" behält und eben auch zu denen gehört, die nicht um Punkt 16 Uhr nach Hause fahren, weil der Ehemann bekocht werden will, sondern er halt dann auch mal länger an den Projekten sitzt als andere und da immer wieder Verbesserungen vornimmt usw...

Die fachliche Kompetenz sollte man schon haben, was aber nicht heißt, dass man alles besser weiß, sondern dass man versteht, was so gemacht wird und warum. Erts wenn man weiß was warum wie gemacht wird, kann man anfangen darüber nachzudenken, was man noch besser machen könnte, aber auch da sollte man vorsichtig sein, denn oft sind solche Gedanken schon dagewesen und aus guten Gründen verworfen worden. Mitarbeiterführung ist für einen Hochschulabsolventen in der Regel erst mal nicht drin und wenn doch, so muss man sich sehr vorsichtig in ein Team einbringen und gut zuhören, sonst bekommt man solche Reaktionen wie der Klugschw...Nuhuman...

Das Studium ist im Grunde wesentlich anspruchsvoller, die Problemstellungen zwar eventuell idealisierter, aber eben auch wesentlich komplexer, als diejenigen, denen Du im Berufsleben begegnen wirst.

Im Studium behandelst Du alles sehr detailliert und tiefgehend und legst insbesondere auf die Spezialfälle Augenmerk, da es Dich ja in erster Linie für eine Tätigkeit in der Forschung qualifizieren soll, aber Dir auch genug mit auf den Weg geben soll, dass Du langfristig in Deinem Bereich erfolgreich sein kannst, Dich also auf zukunftige Entwicklungen einstellen kannst und nicht nur den aktuellen Status-Quo kennst. Du lenst also insbesondere auch die Grenzfälle kennen, für die sich die Industrie meist überhaupt nicht interessiert, die aber oft auch für sie interessant wären, wenn die Leute in der Industrie nicht so dermaßen ignorant wären.

Im Berufsleben hingegen wirst Du viel Routine schieben müssen. Viele Dinge, die technisch möglich wären, werden nicht benötigt oder in Betracht gezogen werden, weil sie wirtschaftlich nicht rentabel sind oder das Risiko für einen Fehlschlag zu groß wäre. Deshalb begnügt man sich lieber mit Dingen, die es schon seit 10 Jahren gibt, von denen man aber weiß, dass sie einigermaßen funktionieren, anstatt nach neuen Optimallösungen zu suchen, bei denen die Entwicklungskosten nicht kalkulierbar sind oder die Möglichkeit eines Fehlschlags besteht. Die Industrie ist daher eher auf "Mittelmäßigkeit" ausgelegt, das Studium trainiert Dich aber für "Spitzenleistung", wie sie im Bereich der Forschung benötigt wird.

Das ist natürlich jetzt äußerst überspitzt formuliert und viele Unternehmen und Berufstätige würden sich hier wohl (zu Recht) "auf den Schlips getreten fühlen", wenn man sie dermaßen über einen Kamm schert, aber die Tendenzen sind durchaus in dieser Form da.

Ich habe damit auch ein riesiges Problem und bemühe mich daher, eine Stelle im Bereich der Forschung zu bekommen, anstatt in einem "Produktionsbetrieb". Da ist dieses "Problem" abgemildert und Du wirst Dich länger "wohl fühlen" (oder ich würde es zumindest), weil nicht nach wenigen Jahren das Gefühl der "Routine" aufkommt, sondern Du (hoffentlich) immer wieder neue spannende Themen bekommst. Ob das klappen wird, weiß ich nicht, aber ich strebe es definitiv an.

Den Uni-Absolventen wirft man vor, alles besser zu wissen, aber den Menschen in der Industrie kann man eindeutig mangelnde Innovationskraft vorwerfen. Die machen lieber das, "was seit Jahren funktioniert". Ob das noch dem heutigen Stand der Technik entspricht und man eventuell mal etwas neues entwickeln sollte interessiert die meisten nicht. Kostet ja viel zu viel. Dabei muss man sich immer vor Augen halten, wenn alle so handeln würden, gäbe es nur Stillstand.

Das Problem ist also nicht, dass Du "nicht qualifiziert für den Beruf bist", das Problem ist, dass Du "zu qualifiziert für die meisten Berufe bist" und Dich erst einmal damit abfinden musst, dass viele Deiner Fähigkeiten, die Du im Studium erlernt hast, im Berufsleben überhaupt nicht benötigt werden und auch nicht erwünscht sind.

Daneben gibt es natürlich auch einige wenige Fähigkeiten, die Du im Berufsleben brauchst, auf die Dich ein Studium in der Regel nicht gezielt vorbereiten wird. Thema sind hier immer die so genannten "Soft-Skills", wie Sozialkompetenz, Verhandlungsgeschick, die Fähigkeit vor Zuhörern zu sprechen, etc. Natürlich kann man davon auch im Studium etwas mitnehmen. Zumindest gab es bei uns einige Male die Möglichkeit, Vorträge über die aktuellen Forschungsprojekte, an denen man als Student auch beteiligt wurde, vor Publikum zu halten. Manchmal war eine solche Teilnahme verpflichtend, oft aber auch optional. Ob man diese Gelegenheit dann genutzt hat oder nicht, hing vom jeweiligen Studierenden ab.

Genau deswegen sind viele Arbeitnehmer genervt, wenn wieder ein Uni-Absolvent anfängt und alles "besser" kann.

Das ist vollkommen normal. Nicht umsonst heißt es: "Zwischen Theorie und Praxis liegen oft Welten" :) Du wirst Dich auch die ersten Tage sicherlich fremd fühlen und eine gewisse Eianarbeitungszeit benötigen. Aber die braucht jeder ! Der große Unterschied zwischen Dir (einem Ingenieur) und einem gelernten Facharbeiter wird sich dennoch mittelfristig zeigen. Ohne Grund wird kein Ingenieur gesucht und eingestellt ! Ich wünsche Dir einen guten Start und viel Erfolg ! :)